Tarek

Mit 16 Jahren kam Tarek mit seiner Familie aus Syrien nach Deutschland. Mittlerweile hat er das Abi in der Tasche, ist Stipendiat beim Avicenna-Studienwerk und studiert Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen.

Tarek, 22, RWTH Aachen

Hi Tarek, erzähl etwas über dich, wie alt bist du, wo kommst du her? Hallo, ich bin Tarek Alhasan, ich bin 22 Jahre alt und studiere an der RWTH Aachen Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauingenieurwesen. Ich komme aus Syrien und bin Ende 2016 nach Deutschland gekommen. Jetzt wohne ich mittlerweile in Aachen.

Bevor wir über dein Studium sprechen, lass‘ uns gedanklich einmal zurück in deine Schulzeit reisen. Wo bist du zur Schule gegangen? Wie verlief deine Schulzeit? Ich habe in Syrien die achte Klasse und offiziell in der Türkei die neunte Klasse abgeschlossen. Ich sage offiziell, weil ich dort selten zur Schule gegangen bin, da ich arbeiten musste. Als ich Ende 2016 nach Deutschland gekommen bin, habe ich für ca. sechs Monate eine Vorbereitungsklasse an der Gustav-Heinemann-Schule besucht, um Deutsch zu lernen. Danach bin ich in die reguläre 10. Klasse gewechselt. Das war schon sehr herausfordernd und ich musste in sehr kurzer Zeit meine Qualifikation für die Oberstufe erwerben. Zum Glück habe ich das hinbekommen und konnte mein Abi machen.

Wow, nach so kurzer Zeit in einem dir fremden Land mit fremder Sprache hast du dein Abi gemacht! Tatsächlich ja (grinst), aber das war eine echte Herausforderung. Nicht nur auf der sprachlichen Ebene, sondern auch auf vielen anderen Ebenen.

Magst du von deinen Hürden und Herausforderungen erzählen? Als ich damals nach Deutschland gekommen bin, hatte ich sehr gemischte Gefühle. Ich hatte schon Hoffnung, aber habe auch Verlust gespürt. Und Sorgen und Ängste. Schon in Syrien und in der Türkei musste ich mehrfach „neu anfangen“, da wir auf der Flucht waren – immer wieder ein neues Umfeld, neue Menschen und neue Situationen, an die ich mich anpassen musste. In Syrien habe ich die schrecklichsten Dinge erleben müssen. Lediglich die Gesellschaft, die Sprache und die Sitten waren mir dort noch am vertrautesten, wodurch die Flucht innerhalb von Syrien wenigstens in dieser Hinsicht leichter war als danach. Aber die Türkei und Deutschland waren mir fremde Länder – mit einer anderen Sprache, einer anderen Gesellschaft und anderen Sitten. Für mich war der Schritt nach Deutschland extrem schwierig und ich war müde, wieder neu anzufangen.

Wie hast du es geschafft wieder aufzustehen und neue Motivation zu finden? Ich kann mich noch sehr gut an meinen ersten Schultag an der Gustav-Heinemann-Schule erinnern. Das war tatsächlich sehr lustig (lacht). Meine damalige Lehrerin war immer am lächeln – egal, wann ich sie gesehen habe, sie war immer am Lächeln. Aber ich kannte sie damals natürlich noch nicht. Ich stand an dem Tag vor ihr und sie hat mich gefragt, wie ich heiße – natürlich mit einem Lächeln im Gesicht. Da ich damals noch kein Wort auf Deutsch kannte, dachte ich, sie erzählt bestimmt einen Witz. Ich habe dann einfach mitgelacht. Sie hat natürlich auch gelacht und meinte „nein, nein, dein Name“. „Name“ konnte ich dann verstehen, weil es im Englischen name ist, aber in dem Satz davor war einfach jedes Wort Deutsch (lacht). Auch, wenn die Situation witzig war, habe ich damals realisiert, dass es so nicht weitergehen kann. Ich bin ein sehr sozialer Mensch und ich möchte mich mit anderen Menschen unterhalten können. Also habe ich mich entschieden, mich hinzusetzen und einfach zu lernen. Ich habe dann auch in relativ kurzer Zeit – ich glaube innerhalb von vier Monaten – B1-Niveau erreicht. Nach den Sommerferien bin ich dann in die 10. Klasse gewechselt und habe am regulären Unterricht teilgenommen.  

Wie war der Übergang für dich? Ich weiß noch, dass ich am Anfang, als ich in die Klasse kam, dachte, diese Menschen sprechen wieder eine neue Sprache (lacht). Ich hatte bis dahin viel Deutsch gelernt, aber keine Umgangssprache! Wenn z.B. jemand „wegen dem Auto“ gesagt hat, bin ich innerlich ausgerastet – das war für mich „wegen des Autos“ (lacht). Ich musste dann erst einmal Umgangssprache lernen, um bei Gleichaltrigen „dazuzugehören“. Ich meine, wenn man „wegen des Ingwers“ sagt, wird man gemobbt (lacht). Nein, Spaß beiseite, ich hatte wirklich eine sehr, sehr coole Klasse. Sie haben mich alle immer sehr unterstützt – auch meine Lehrerin! Ich habe versucht immer viel mit ihnen zu reden, um weiter Deutsch zu lernen. In der Oberstufe war es natürlich wieder sehr herausfordernd, fünf bis sechs Stunden auf Deutsch Klausuren zu schreiben. Ich habe diese Herausforderungen aber immer genutzt, um an mir zu arbeiten.

Wie hast du an dir gearbeitet? Ich hatte in der Schule in jeder Unterrichtsstunde immer ein Vokabelheft und ein Wörterbuch dabei. Immer, wenn ich ein Wort nicht kannte, habe ich es aufgeschrieben, gelernt und versucht, direkt in meinem Sprachgebrauch anzuwenden. Ich weiß noch, dass Freunde von mir manchmal zu mir meinten, das Wort würde es nicht geben. Wir haben dann zusammen im Wörterbuch nachgeschaut und da stand es dann. Meine Freunde haben sozusagen durch mich ein paar Worte dazugelernt (lacht). Zusätzlich habe ich immer versucht, das Arabische ins Deutsche zu übersetzen. Dadurch habe ich mir einen großen Wortschatz aneignen können.

Im Arabischen sagt man: „Wer den Aufstieg zum Gipfel fürchtet, lebt auf ewig in den Tiefen“. Ich glaube, dass es manchmal hilft, sich die rhetorische Frage zu stellen: „Wieso sollte ich es nicht machen?“. Wenn ich den Berg besteigen kann – wieso sollte ich im Tal bleiben?

Wow, Tarek, ich finde es sehr beeindruckend wie motiviert und engagiert du am Ball geblieben bist und deine Herausforderungen gemeistert hast! Auch wenn ich seine Thesen und Ansichten nicht teile, passt dieses Zitat von Nietzsche an dieser Stelle ganz gut: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Ich habe mir damals meine Ziele konkretisiert und entsprechend agiert. Das klingt jetzt vielleicht sehr einfach – so, als sei ich ab dann ohne Probleme durchs Ziel marschiert, aber natürlich war das nicht so. Wie bei uns allen gab und gibt es immer Höhen und Tiefen.

Magst du dein Warum mit uns teilen? Ich habe damals realisiert, dass ich die Möglichkeit und die Zeit geschenkt bekommen habe, sehr viel zu erreichen. In der Türkei hatte ich zwar die Möglichkeit zur Schule zu gehen, aber nicht die Zeit, da ich viel arbeiten musste. Ich habe eine Chance bekommen, die nicht jeder erhält. Es gibt Menschen in dieser Welt, die von dieser Möglichkeit träumen. Dadurch, dass ich hier auch die Zeit hatte, zur Schule zu gehen, konnte ich die Möglichkeit nutzen und mein Abitur machen. Aus Möglichkeiten wurden erreichbare Ziele. Und durch das Erreichen von Zielen kann ich mir die nächsten Ziele setzen – wie z.B. das Ziel, studieren zu gehen. Ich bin dankbar für meine Möglichkeiten und möchte sie nutzen.

Kannst du dich noch daran erinnern, wie du auf die Idee gekommen bist, Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauingenieurwesen zu studieren? Ich dachte ehrlich gesagt immer, dass ich Architektur studieren werde. Ich bin quasi auf einer Baustelle großgeworden, da mein Vater in diesem Bereich tätig war. Ich habe so schon früh mein Interesse für das Bauwesen entwickelt. Als ich mich damals mit Nam mit dem Architekturstudium auseinandergesetzt habe, habe ich gemerkt, dass der Studiengang vielleicht doch nicht 100% passend war. Wir haben dann geschaut, was es in dem Bereich noch alles gibt. Da ich mich auch sehr für die Wirtschaft interessiert habe, sind wir auf den Studiengang „Wirtschaftsingenieurwesen mit Fachrichtung Bauingenieurwesen“ gestoßen – die perfekte Kombination aus meinen Interessen. Und ich muss sagen, dass ich auch sehr zufrieden und glücklich mit dem Studium bin. Nach dem Bachelor strebe ich ein Masterstudiengang im Bereich Projektmanagement an und würde gerne ein Praktikum im Ausland machen.

Wie hast du Nam damals kennengelernt? Meine Schwester war damals bei einem anderen Talentscout in der Beratung und hatte mir davon erzählt. Da sich das gut anhörte, habe ich mich bei mir an der Schule in die Liste eingetragen. So habe ich dann Nam kennengelernt. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und hat mich sehr unterstützt. Nicht nur beim Finden des richtigen Studiengangs, sondern auch bei meiner Bewerbung auf ein Stipendium beim Avicenna-Studienwerk.

Und – war die Bewerbung erfolgreich? Ja, ich wurde dort aufgenommen. Ich kann es auch nur jedem empfehlen, es zu versuchen. Nicht nur wegen der finanziellen Unterstützung, sondern vor allem wegen der ideellen. Ich habe dort die Möglichkeit, an sehr vielen und abwechslungsreichen Workshops, Vorträgen und Veranstaltungen teilzunehmen und so meinen Horizont zu erweitern. Und zudem schafft es mir ein riesiges Netzwerk mit vielen inspirierenden Menschen, auf welches ich zurückgreifen kann.

Engagierst du dich in irgendeiner Form? Ich helfe geflüchteten Menschen bei sprachlichen und bürokratischen Barrieren, unter anderem im Rahmen eines vom Avicenna-Studienwerk koordinierten Projektes „ParticiPate“. Gerne würde ich auch die Qualifikation zum Talentpaten machen. Bisher hat es zeitlich leider nicht geklappt, da ich durch mein Studium sehr eingebunden bin. Aber ich wünsche mir, dass es irgendwann klappt!

Wenn du auf deinen ganzen Erfahrungsschatz zurückgreifst – was würdest du anderen Schülerinnen und Schülern gerne mit auf den Weg geben? Ich würde ihnen raten nach dem Besten zu streben und Praktika zu machen; sich mit anderen Menschen über die Berufe auszutauschen, für die man sich interessiert und viel darüber zu lesen. Ich glaube, dass das der beste Weg ist, ein umfassendes und realistisches Bild von dem Studium und dem Beruf zu erhalten. Wenn ich dann weiß, was man da genau macht, wie es genau ist und was von mir erwartet wird, dann weiß ich, ob es das Richtige für mich ist und kann eine Entscheidung treffen. Und als Letztes würde ich ihnen mitgeben wollen, nicht auf den Moment zu warten, an dem es „leichter“ wird. Es wird nie einfach so leichter. Es wird leichter, wenn ich in Bewegung komme und einfach mache.

Wenn du einen Workshop halten würdest, was wäre dann dein Thema? Ich müsste den Workshop aktuell wahrscheinlich aus Mangel an zeitlichen Ressourcen absagen (lacht).

Tarek! (lacht) Okay, was wäre das GEPLANTE Thema gewesen? Ich würde einen Workshop über Social Media halten. Ich glaube, dass der unbewusste Umgang mit Social Media ein großes Problem darstellt und das Thema unterschätzt wird. Die Welt, die wir dort sehen, ist in der Realität oft nicht so. Ich glaube, dass viele Menschen dadurch glauben, dass sie immer mehr erleben müssen, Neues machen müssen und sich von ihrem Leben und ihrer Identität entfernen. Wenn ich damit beschäftigt bin, einen Moment, den ich gerade erlebe, zu posten, um ihn anderen Menschen zu zeigen, dann verpasse ich es, den Moment richtig zu erleben. Viele haben auch Angst, etwas zu verpassen, wenn sie auf Social Media nicht aktiv sind. Doch, was sie meiner Meinung nach dadurch wirklich verpassen, ist ihr eigenes Leben. Sie sind aktiv auf Social Media, anstatt aktiv in ihrem eigenen Leben zu sein.

Deep Talk mit Tarek. Ich hoffe, du findest die zeitlichen Ressourcen den Workshop zu halten ;-). Bevor wir zum Abschluss kommen, noch eine „leichtere“ Frage: Was machst du gerne in deiner Freizeit? Ich bin sehr gerne in der Natur. Wandern ist für mich unverzichtbar. Ansonsten spiele ich gerne Fußball und gehe ins Fitnessstudio. Und ich lese sehr gerne.

Zum Schluss die wichtigste Frage. Vervollständige diesen Satz: „Ich bin ein Talent, weil…?“ …oh nein, Selbstbeschreibungen finde ich immer schwierig. Talent ist Übung und Übung macht den Meister.