Hallo Sina! Erzähl etwas über dich, wie alt bist du, wo kommst du her? Ich bin 17 Jahre alt und lebe in Duisburg, gehe aber in Mülheim zur Schule, da ich dort aufgewachsen bin und bis zu meinem 14. Lebensjahr gewohnt habe. Zurzeit besuche ich die 12. Klasse der Gustav-Heinemann-Gesamtschule.
Wie läuft es in der Schule? Was sind deine Lieblingsfächer? Wie war dein schulischer Laufweg? Prinzipiell läuft es eigentlich ganz gut, aber ich muss schon zugeben, dass es Zeiten gab, in denen es nicht so gut lief. Ich hatte ziemliche Probleme mit meinen Mitschüler:innen. In dieser Phase war ich überhaupt nicht motiviert und hatte keinerlei Ziele. Die Probleme mit den Mitschüler:innen haben mich teilweise so belastet, dass es Tage gab, in denen ich nicht in die Schule gegangen bin, weil mir einfach die Kraft gefehlt hat.
Ab der 7. Klasse kam mir aus heiterem Himmel der Gedanke: „Es geht so nicht weiter!“, da habe aus irgendwelchen Gründen meine Einstellung geändert. Frage mich bis heute, wo dieser plötzliche Sinneswandel herkam. Ich denke aber, dass meine Englischlehrerin einen großen Beitrag dazu geleistet hat. Sie hat uns unglaublich viel Mut geschenkt und mich zu der Person gemacht, die ich heute bin.
So hat sie mich, neben meiner Klassenlehrerin, immer wieder aufgebaut und mir positive Worte gesagt, wie: „Hör nicht auf die anderen.“, „Gib nicht auf.“, „Du schaffst das!“. Ich bin meinen Lehrerinnen sehr, sehr dankbar dafür.
Die schriftlichen Fächer wie Deutsch und Pädagogik liegen mir besonders gut. Ich liebe es zu schreiben. Seit der 10. Klasse liebe ich auch das Fach Sport. Das hat sich irgendwie während der Pandemie entwickelt. 2020 musste ich zwei Mal in Quarantäne und war ein wenig niedergeschlagen. Man konnte nichts machen und ich fühlte mich hilflos. Da dachte ich irgendwann: „Komm du willst dich schon lange sportlich betätigen. Jetzt ist der perfekte Zeitpunkt!“- und dann habe ich einfach angefangen Online-Workouts zu machen. Das hat sich auch im Sportunterricht bezahlbar gemacht!
Und wie geht es jetzt für dich weiter? Bis zur 8. Klasse hatte ich, wie eben schon erwähnt überhaupt keine Ahnung, was ich will und auch keinen Elan und an das Abitur habe ich erst recht nicht gedacht. Niemand hätte sich vorstellen können, dass ich einmal in die Oberstufe kommen würde. Doch verschiedene Ereignisse wie neue Freundschaften, der Zuspruch der Lehrer:innen und weitere Faktoren haben für eine große Veränderung in meinem Leben gesorgt. In der 7. Klasse gab es z.B. eine Art Ehrenurkunde für besondere Leistungen. Diese habe ich damals bekommen. Nichtsahnend bin ich auf die Bühne gerufen worden und habe diese Urkunde überreicht bekommen. Ein absoluter Push für mich.
Aber auch die Schulsanitäts-AG hat mir sehr viel Kraft gegeben. Andere zu unterstützen und zu sehen, dass nicht alle Menschen schlechtes wollen, haben mir sehr geholfen und das wollte ich auch hier weitertragen. Naja, als dann alles besser lief, war es mir möglich, zu erkennen, was ich will. Nach dem Abitur möchte ich Jura studieren.
Kannst du dich noch daran erinnern, wie du auf diese Ideen gekommen bist? Vor einiger Zeit hatte mir eine Freundin erzählt, sie wolle Anwältin werden. Bis dato hatte ich keine Ahnung was es wirklich damit auf sich hat. Ich fand es aber interessant und fing an zu recherchieren. Ich habe mich durch 1000 verschiedene Sachen gelesen und mich immer wieder selbst in dem Beruf gefunden. Besonders greift da der Gerechtigkeitspunkt. Man kann einfach unglaublich viel bewirken und erreichen. Aber auch das Familienrecht interessiert mich sehr. Dies habe ich besonders durch meine Arbeit bei UNICEF, wo ich seit drei Jahren bin, gemerkt.
Wow! Bei UNICEF bist du auch tätig? Wie bist du denn dazu gekommen? Das hat wieder was mit einer Lehrerin zu tun. In der 9. Klasse hatten wir einen Kurs, in dem wir Wasser an Schüler und Schülerinnen verteilen durften, dieses Projekt lief über UNICEF. Meine Lehrerin und der damalige UNICEF-Ansprechpartner hatten mich für eine Ausbildung als Junior-Teamerin vorgeschlagen. Ich war erst total skeptisch, denn ich hatte gelesen, dass aus ganz NRW nur 20 Leute genommen werden. Aber ich wollte es trotzdem versuchen. Als dann eines Tages der Brief kam, hatte ich zunächst mit einer Absage gerechnet, doch dann stand da tatsächlich, dass ich genommen wurde und ich war völlig aus dem Häuschen. Danach ging alles sehr schnell. Die Ausbildung fand immer an den Wochenenden statt, in Köln. Hier haben wir verschiedene Sachen erarbeitet. Ich habe unfassbar schöne Erinnerungen aus dieser Zeit. Wir haben uns alle untereinander sehr gut verstanden und hatten von vorne rein eine starke Verbindung, obwohl sich niemand kannte. Die Unterrichtseinheiten waren intensiv und teilweise auch sehr emotional. Eine Stunde hat uns alle sehr mitgenommen, da ging es über Afrika und Genitalverstümmlung. Aber auch dies war ein wichtiger Punkt um die Kinderrechte wirklich verstehen zu können und diese dann auch zu vermitteln und die Wichtigkeit klarzumachen. Unsere Zielgruppen sind Kinder und Jugendliche, vor allem mit Migrationshintergrund. Hier zeigen wir: „Schau mal, es gibt Kinderrechte. Du hast z.B. das Recht auf Bildung oder das Recht auf deinen eigenen Namen.“ Man kann an der Schule eine AG aufmachen, die Kinderrechte über Social Media verbreiten oder generell in die Öffentlichkeit gehen. Das ist uns ganz frei. Letztes Jahr habe ich z.B. eine Aktion bei UNICEF selbst gemacht.
Was sagen denn deine Eltern zu deinem unglaublichen Weg? Meine Mutter hat uns immer ganz freien Lauf gelassen. Egal was ich gemacht habe, sie hat mich unterstützt. Sie stand einfach immer hinter mir und das tut sie nach wie vor. Sie bestärkt mich immer wieder, alles zu versuchen und sagt auch, dass es völlig okay ist, wenn mal etwas nicht klappt. Für sie ist es wichtig, dass ich den Weg, der mich glücklich macht, gehe.
Mein Vater legt sehr viel Wert auf Bildung und war dementsprechend auch sehr froh, dass ich mein Abitur mache. Ich denke, dass ist auch ein bisschen kulturell bedingt. Mein Papa kommt aus Westafrika, aus Guinea und dort wird Bildung generell sehr großgeschrieben. Ganz besonders toll findet er, dass ich Anwältin werden möchte. Aber auch er lässt mir alle Freiheit und ich werde von keiner Seite unter Druck gesetzt.
Was machst du denn gerne in deiner Freizeit? Ich treibe gerne Sport und auch wenn es blöd klingt, liebe ich es zu lernen, bzw. neues zu entdecken. Deshalb schaue ich mir auch total gerne Dokumentationen an oder Theater und solche Sachen.
Neben deinen Hobbys, engagierst du dich in irgendeiner Form noch? Ich habe eine Patenklasse. Dort gibt es immer mal wieder Hänseleien. Hier kann ich Tipps aus eigener Erfahrung geben. So rate ich immer wieder, sich nicht unterkriegen zu lassen, nicht den Mut zu verlieren und sich bloß nicht für andere zu verändern. Einfach aufstehen und weiter gehen! Außerdem bin ich noch bei den RuhrTalenten. Das hat auch mal wieder was mit meinen Lehrerinnen zu tun. 2020, als Corona begonnen hat, war es so, dass wir A- und B-Kurse hatten und meine Klassenlehrerin hat mich nach vorne gerufen und ich dachte: „Oh nein, was habe ich getan?“. Sie hat dann vom Talentscouting erzählt und meinte: „Triff dich doch mal mit unserem Talentscout Nam.“ Das tat ich auch und er hat mir von den RuhrTalenten berichtet. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich mich nicht in der ersten Runde angemeldet habe. Ich weiß nicht woran es lag, denn das ist ganz untypisch für mich. Aber im nächsten Zeitfenster habe ich dann das Motivationsschreiben verfasst. Und alles lief ähnlich, wie bei UNICEF. Meine Mutter hatte den Brief in der Hand und mir die Zusage mitgeteilt. Ich dachte wieder: Das kann doch nicht sein, so viel Glück kann man doch nicht haben.“
Konnte das Talentscouting dich persönlich unterstützen? Absolut! Nam wusste ja von Anfang an, was meine Berufswünsche sind. Er hat mir immer total coole Veranstaltungen von Studiengängen o.ä. geschickt und hat mich nochmal total bestärkt in meinem Berufswunsch. Es ist nochmal was ganz anderes, wenn man von Student:innen selbst hört, wie alles so abläuft, als wenn man einfach so darüber liest. Solche Sachen kann ich absolut weiterempfehlen! Die größte Ehre war für mich war ein Bericht in der Zeitung mit Nam zusammen. An diesem Tag hat mir der Schulleiter berichtet, dass er eine Kooperation mit UNICEF eingehen möchte und mich gefragt, ob ich ihn da unterstützen kann, bzw. er diesbezüglich nochmal auf mich zukommen darf. Das hat mich auch wieder sehr gefreut. Beim letzten TNTalk der HRW über Privilegien & Soziale Gleichheit war ich auch als Expertin dabei!
Erzähl doch mal, welche persönlichen Hürden du erlebt hast! Ich hatte ja Anfangs schon kurz von meinen anfänglichen Problemen in der Schule berichtet. Inzwischen kann ich offen darüber sprechen, weil ich das ganze gut verarbeitet habe und mir gesagt habe: „Mit der Vergangenheit schließe ich ab und jetzt schaue ich nur noch in die Zukunft.“. Früher habe ich stark geschielt und wurde daher sehr stark gemobbt. Das alles begann in der Grundschule und ging dann leider auf der weiterführenden Schule weiter. Ich wurde stark ausgegrenzt und man hat sich über mich lustig gemacht. Mit neun Jahren wurde ich das erste Mal gelasert und das Schielen wurde weniger. Es kann aber immer wieder zurückkommen. Inzwischen ist es mir jedoch egal und es belastet mich nicht mehr. Daher würde ich es wahrscheinlich nicht mehr korrigieren lassen. Ich habe in den letzten Jahren auch so viele interessante Persönlichkeiten kennengelernt und so extreme Geschichten gehört, dagegen ist das Schielen eine kleine Sache.
Mit diesen Erfahrungen, die du gesammelt hast: Was würdest du anderen Schülerinnen und Schülern empfehlen, die sich gerade in der Studien- und Berufswahl befinden? Probiere dich einfach aus und schaue dir nicht nur eine Sache an. Es gibt so unterschiedliche Bereiche. Ich habe mich z.B. auch intensiv mit dem Studiengang fürs Lehramt auseinandergesetzt. Einfach um zu wissen, was es sonst noch für Möglichkeiten gibt. Und da sollte man immer dranbleiben. Im Austausch mit anderen erfahre ich oft von Berufen, von denen ich nicht mal wusste, dass sie existieren.
Wenn du einen Workshop halten würdest, was wäre dann dein Thema? Nam wüsste es sofort! Natürlich ein Workshop über Kinderrechte. Da habe ich den meisten Input und die meisten Quellen.
Zum Schluss die wichtigste Frage. Vervollständige diesen Satz: „Ich bin ein Talent, weil…?“
… ich niemals aufgebe, ich immer meinen Weg gehe und weil ich mich nicht unterkriegen lasse von äußeren Faktoren. Ich bin immer bereit neues auszuprobieren und baue meine Fähigkeiten stetig aus!